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Sind die Bäuerinnen und Bauern die nächsten Klimaseniorinnen?

Meldung  | 

Landwirt*innen und nahestehende Verbände klagen den Bund an, zu wenig gegen die Klimakrise zu tun. Die erste Instanz lehnte die Klage ab, nun liegt das Dossier beim Bundesverwaltungsgericht. Sollte dieses die Ablehnung stützen, ist ein Weiterzug nach Strassburg denkbar - wie bei den Klimaseniorinnen.

Christina Schwaller will mit der Klage das Thema Klima für eine grosse Öffentlichkeit sichtbar machen. Foto: zvg

Yves Batardon hofft, dass die Bevölkerung die Herausforderungen des Klimas erkennt und eine wünschenswerte Zukunft definiert. Foto: Fabienne Bühler

Spricht man mit Christine Schwaller über die Klimakrise, kommt die Vierzigjährige rasch in Fahrt. Die Biobäuerin bewirtschaftet gemeinsam mit dem zugehörigen Verein für Solidarische Landwirtschaft (Solawi, 120 Mitglieder) den fünf Hektaren grossen Seebeli-Hof in Wienacht-Tobel im Appenzeller Vorderland. Gemüse steht im Zentrum der Produktion, daneben meckern Ziegen und gackern Enten und Hühner.

Obwohl auf dem Seebeli «auf den ersten Blick pure Idylle herrscht», wie die Betriebsleiterin meint, werde auch dieser Hof nicht verschont von der Klimakrise: Starkregen, Trockenheit, Hagel, Frost. Die Wetterkapriolen haben sich nach Christine Schwallers Empfinden stark zugespitzt. «Es ist krass, wie sehr wir diesen Einflüssen ausgeliefert sind», sagt sie. Zwar verteile die Solawi das Risiko von Missernten auf viele Schultern. Doch das genügt Christine Schwaller, die auch ausgebildete Sozialpädagogin ist, nicht. Sie will das Übel bei den Wurzeln packen. Zusammen mit fünf weiteren Landwirtinnen und Landwirten und fünf Organisationen (Uniterre, Kleinbauern-Vereinigung, BioGenève, Schweizer Bergheimat, Les Jardins de Cocagne) hat sie im März 2024 beim Bundesamt für Umwelt, Verkehr und Energie (UVEK) eine Klage eingereicht.

Physische, psychische und finanzielle Schäden

Darin wird der Bund aufgefordert, den Schutz des Klimas ernsthafter an die Hand zu nehmen. Als das UVEK die Klage erstinstanzlich verweigerte, erhoben die Klägerinnen und Kläger Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Sollte auch diese zweite Instanz die Klage ablehnen, ist ein Weiterzug an den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) denkbar. Diesen Weg hatten die Klimaseniorinnen beschritten, was viel Publizität auslöste. Die Seniorinnen hatten der Schweiz Untätigkeit beim Klimaschutz vorgeworfen; Strassburg fällte im April 2024 ein Urteil zu ihren Gunsten, das die Schweiz aber nicht umsetzt.

Hatten die Seniorinnen argumentiert, dass ihre Lebenserwartung sinke, sollten weiterhin so viele Treibhausgase emittiert werden, geht der Bauernstand einen Schritt weiter. Laut der Klage muss den Landwirt*innen zuerkannt werden, so stark von der Klimakrise betroffen zu sein, dass sie konkrete Massnahmen von den Behörden fordern können. Vertreten werden sie vom Anwaltskollektiv Avocat.e.s pour le climat. Die Beschwerdeführer sprechen von «nicht nur physischen und psychischen, sondern auch vermögensrechtlichen Schäden». Solche Argumentationen dürften auch an der laufenden Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP 29, siehe Kasten) zu reden geben.

Christine Schwaller zählt auf, was ihr Hof bereits unternimmt, um resilienter zu werden: Keyline Design (Kulturen entlang der Höhenkurven mit Wassermanagement), regenerative Landwirtschaft, Pflege der Hecken und der Böden und mehr. Die Appenzeller Bäuerin meint, sie klage auch aus übergeordneten politischen Gründen: «Das Klima betrifft uns alle, eine Einzelperson ist machtlos. Ich erlebe es immer wieder positiv, wenn sich Menschen gemeinsam für eine Sache engagieren. Mit der Klage machen wir das Thema für eine grosse Öffentlichkeit sichtbar.»

Mehr Apotheken als Bäckereien

Yves Batardon ist einer der Initiatoren der Klage und argumentiert ebenfalls politisch. «Der Bund hat bisher ein ökologisch unverträgliches Geschäftsmodell gefördert. Es ist ein Modell, das die Erde ausbeutet, was der Bundesverfassung widerspricht», sagt der Bauer und Winzer, der auf dem Gut Mermière in der Genfer Ortschaft Soral tätig ist.

Yves Batardon sagt, seine Kinder hätten dieses Jahr den Biobetrieb übernommen. Auf den Parzellen wird Agroforstwirtschaft betrieben, Obstbäume und Hecken tragen zur Artenvielfalt bei und beleben die Landschaft. Yves Batardon begründet seine Motivation für die Klage mit deutlichen Worten. «Bisher hat die Bundesregierung ein Wirtschaftsmodell gefördert, das mit der Ökologie unvereinbar ist. Es ist ein Modell, das der Bundesverfassung widerspricht, einer Verfassung, die die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung definiert.»

Der Winzer ergänzt: «Wir Bauern sind die ersten, die vom Klimawandel betroffen sind.» So habe das Landgut der Familie 2017, 2019 und 2024 Frostschäden erlitten. Die Bäuerinnen und Bauern würden doppelt bestraft: Erstens würden deren Produkte nicht entsprechend ihrem Wert anerkannt; zweitens würde sich die Produktionsgrundlagen angesichts der Klimakrise verschlechtern.

Das aktuelle Wirtschaftsmodell erlaube es, «zehnmal mehr Geld mit dem Verkauf von Medikamenten zu verdienen als mit der Herstellung von Brot», so Yves Batardon. Oft würden geschlossene Bäckereien durch Apotheken ersetzt. Es sei an der Zeit, die Verantwortlichen zu benennen. Der Genfer hofft, dass die Klage der Bevölkerung helfen wird, «die Herausforderungen des Klimas zu erkennen und eine wünschenswerte Zukunft zu definieren».

Klimakonferenz betrifft auch Landwirtschaft
Die jährliche COP (Conference of the Parties) ist das wichtigste multilaterale Forum in der internationalen Klimapolitik. Die 198 Vertragsstaaten verhandeln über gemeinsame Entscheidungen und setzen sich neue Ziele. Die COP 29 begann am 11. November in Aserbeidschans Hauptstad Baku und dauert bis zum 22. November.
Einen bedeutenden Anteil am Ausstoss von Klimagasen hat die Landwirtschaft, auch in der Schweiz. Der Bauernverband SBV schreibt dazu: «Gemäss Schweizer Treibhausgasinventar beträgt der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten Treibhausgasemissionen in der Schweiz 15.5 Prozent für das Jahr 2022.»

Beat Grossrieder, FiBL

Weiterführende Informationen

Avocat.e.s pour le climat (avocatclimat.ch)
Klimakonferenz (Webseite United Nations Climat Change)

Hinweis: Dies ist eine tagesaktuelle Meldung. Sie wird nicht aktualisiert.

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