Auch wenn Rudolf Steiner den Begriff «Hofindividualität» in seinem Landwirtschaftlichen Kurs nie selbst in den Mund genommen hat, ist er in der biodynamischen Landwirtschaft geläufig. Oft findet man ihn auf Webseiten von Höfen. Trennscharf definieren lässt er sich dabei kaum. Das soll auch nicht das Ziel des Forschungsprojektes von FiBL und Biodynamischer Ausbildung Schweiz sein. Vielmehr möchten sie sich dem Begriff über einen anderen Weg annähern.
Forschung zurück auf die Höfe bringen
An einem Workshop auf dem Hof Schüpfenried in Uettligen/BE stellte ein Kernteam bestehend aus Jolanda Gämperli und Samuel Bähler von der Biodynamischen Ausbildung Schweiz, Lin Bautze und Anet Spengler Neff vom FiBL sowie Künstler Nicolas Galeazzi den rund 50 anwesenden Landwirt*innen von zirka 40 biodynamischen Höfen ihr Vorhaben vor. Ausgangspunkt war laut Jolanda Gämperli die Idee, Forschung zurück auf die Höfe zu bringen. Die anwesenden Landwirt*innen wurden sogleich eingeladen, Teil des Forschungsteams zu werden. «Wer wäre besser geeignet, Hofindividualität zu erforschen, als die Menschen, die auf den Höfen leben», fragte Jolanda Gämperli.
Ein Jahr festgehalten im Forschungsjournal
Anstatt das Konzept in Einzelteile zu zerlegen und nach messbaren Indikatoren zu suchen, hatten Gämperli und ihre Kolleg*innen die Idee eines Journals, in dem die teilnehmenden Betriebe über ein Jahr ihre Gedanken rund um die Forschungsfrage «Wer ist mein Hof?» festhalten. Das Heft folgt dem Kalenderjahr und ist in zwölf Monate à vier Wochen unterteilt. Jeder Monat hat ein Überthema wie Boden, Fülle oder Geschichte und ist entsprechend der Wochen in vier Themen gegliedert: Inspiration, Beobachtung, Reflexion und Handlung. Ziel ist es, dass sich die Teilnehmenden wöchentlich eine Stunde dem Forschungsjournal widmen und das Monatsthema aus der entsprechenden Perspektive betrachten. Fragen, Übungen und Handlungseinladungen liefern Vorschläge, wie die Einträge aussehen könnten.
Warm werden mit der Methodik
Um mit dem Werkzeug warm zu werden, stiegen die Teilnehmenden am Workshoptag gleich mit dem Monat September ein. Gestartet wurde mit dem Zeichnen einer Karte des eigenen Hofes. Diese soll im Laufe des Jahres immer wieder herbeigezogen werden. Anschliessend folgte ein sensorischer Spaziergang über den Hof Schüpfenried. Mit den Sinnen Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen erkundeten die Anwesenden den Hof und versuchten im anschliessenden Austausch, betriebliche Eigenheiten herauszukristallisieren. Dabei half die Frage, «wenn der Hof ein Mensch wäre, wie würdest du ihn beschreiben?». Die Antworten reichten von: «eine gute Wirtin, die ihre Gäste umsorgt» bis zu, «ein vertrauenswürdiger Banker mit einem Herz fürs Soziale».
Weiterentwicklung des Werkzeugs als Ziel
Nun sollen die Forscher*innen ihre Journale über ein Jahr bearbeiten. Im September 2025 findet ein erneuter Workshop statt, um sich über die Ergebnisse auszutauschen, die Journale auszuwerten und Erkenntnisse zu sammeln. Eine genaue Definition von Hofindividualität ist dabei nicht das Ziel des Prozesses, vielmehr geht es darum herauszufinden, ob die Ansätze des Forschungsjournals dienlich sind, um sich dem Wesen eines Hofes anzunähern. «Die Auswertung der Hefte soll dabei helfen, die Methodik weiter zu verfeinern», erklärt Jolanda Gämperli, «damit weitere Landwirt*innen ein noch besseres Werkzeug an die Hand bekommen, um den Charakter des eigenen Hofes zu untersuchen.»
Corinne Obrist, FiBL
Weiterführende Informationen
Biodynamische Ausbildung Schweiz (demeterausbildung.ch)