Eier und Fleischproduktion zusammen betrachten
Schon im ersten Themen-Vortrag wurde klar: Werden Ansätze zum Ausstieg der Schweizer Bioeierbranche aus dem Kükentöten diskutiert, ist der Blick über den Tellerrand der Eierproduktion notwendig. Denn neben den Eiern werden in jedem Fall auch Junghähne anfallen.
Dass Eier- und Fleischproduktion zusammen betrachtet werden müssen, lag auch den Berechnungen von Sabine Münch von der Hosberg AG zugrunde, die sie an der Tagung präsentierte. Sie verglich die Ressourceneffizienz der Szenarien «spezialisierte Legehybriden mit Bruderhahnmast» und «Zweinutzungsgeflügel» mit dem aktuellen Produktionssystem.
Bei den Zweinutzungshennen berücksichtigte sie die tiefere Legeleistung und die geringere Leistungspersistenz – und damit die kürzere Nutzungsdauer – sowie den höheren Kleineier-Anteil. Die Berechnung ergab, dass mit Zweinutzungshennen rund 50 Prozent mehr Junghennen aufgezogen werden müssen und deutlich mehr Legehennenplätze nötig sind. Beim Gesamt Futterbedarf hingegen kann eine leicht reduzierte Futtermenge in der Biopouletmast eingerechnet werden, da das Fleisch von Bruderhähnen und Zweinutzungstieren eine gewisse Anzahl Biopoulets ersetzen kann. So stiegt der gesamte Futterbedarf mit Legehybriden und Bruderhahnmast nur minimal an. Mit Zweinutzungshühnern kann er dagegen deutlich höher sein - in Abhängigkeit von der Genetik und dem vermarktungsfähigen Eigewicht um bis zu 55 Prozent. Die Zweinutzungshybride Lohmann Dual schnitt durchwegs besser ab als die züchterisch erst seit kurzem bearbeiteten Zweinutzungs-Gebrauchskreuzungen Coffee und Cream der Ökologischen Tierzucht GmbH (ÖTZ), vor allem wenn auch kleinere Eier vermarkten werden.
Für einen ressourcenschonenden Ausstieg aus dem Kükentöten gilt es also, kreative Lösungen zu erarbeiten und Einsparungschancen zu nutzen.
Die Frage der Futtereffizienz
Bezüglich der Futterverwertung können Zweinutzungshühner nicht mit hochspezialisierten Lege- oder Masthybriden mithalten. Sie bieten jedoch den Vorteil, dass weniger gehaltvolles Futter eingesetzt werden kann. Für die Coffee- und Cream Hennen ist ein erhöhter Einsatz von Nebenprodukten im Futter vorgesehen. Ihre grössere Genügsamkeit und Flexibilität beruht darauf, dass sie auf grosse Mägen und unter Vorgabe von 100 Prozent Biofutter selektiert werden. Sie können daher geringere Nährstoffgehalte durch eine höhere Futteraufnahme kompensieren – ein Joker, der bei den männlichen wie weiblichen Tieren ausgespielt werden kann.
Es ist bezüglich Futteraufnahme jedoch wichtig, dass die Hennen nicht zu schwer werden, damit sie nicht brütig werden. Ausserdem ist bei den Coffee-Hennen auf den Einsatz von Kreuzblütlern wie Raps zu verzichten, da diese den Geschmack der Eier negativ beeinflussen können.
Um Futterressourcen zu schonen, können bei Bruderhähnen 50 Prozent des im Standard-Mastfutter eingesetzten Sojas ohne Einbussen beim Wachstum oder beim Tierwohl durch Luzerne-Grünmehl ersetzt werden, wie ein Versuch des FiBL zeigte. Punkto Futterverwertung ist ausserdem das Schlachtalter von Bedeutung: Die Futterverwertung wird mit zunehmendem Alter schlechter.
Die Aufzucht der Junghähne
Roman Clavadetscher, Gallina AG, berichtete über seine Praxiserfahrungen mit der Aufzucht von Bruderhähnen. Es handelt sich um robuste Tiere und sie können wie Junghennen aufgezogen werden. Da sie aber tendenziell «faul» sind, nutzen sie Volierensysteme weniger gut. Clavadetscher sprach sich daher für die Aufzucht von Bruderhähnen in einer einfachen, mit Sitzstangen ausgestatteten Bodenhaltung aus. Dies wurde auch von Teilnehmenden als bewährtes System beschrieben.
Das Schlachtalter spielt auch im Hinblick auf das Verhalten eine Rolle: Etwa ab der 15. Lebenswoche beginnen unter den Hähnen Rangordnungskämpfe, die zu Kammverletzungen führen. Ein niedrigeres Schlachtalter ist daher sowohl für die Ressourceneffizienz als auch aus Tierschutzgründen anzustreben; 12 bis 14 Wochen haben sich in der Praxis bereits bewährt.
Während sowohl die Legehybriden als auch Zweinutzung Hybriden wie Lohmann Dual als Küken gesext und von Anfang an getrennt eingestallt werden, trennt man die Geschlechter bei Coffee und Cream in der Regel erst mit etwa sechs Wochen. Dieses Vorgehen wurde unterschiedlich bewertet. Während die einen in der gemeinsamen Aufzucht von Hennen und Hähnen einen arbeitswirtschaftlichen Vorteil sehen, sehen andere die Nachteile wie die zulässigen Gruppengrössen, die notwendigen Umstallungen sowie die Tatsache, dass bei diesem Vorgehen die Aufzucht nicht auf Pouletmastbetrieben stattfinden kann.
Bei Bruder- wie bei Zweinutzungshähnen ist eine Nutzung bestehender Altgebäude bezüglich der Ressourceneffizienz sinnvoll und möglich, vorausgesetzt, die nötigen Auslaufflächen sind vorhanden.
Für eine Umsetzung unter hohen Tierwohl-Standards sowie unter Berücksichtigung des Kreislaufgedankens fordert Bio Suisse, dass die anfallenden männlichen Küken nach den Richtlinien von Bio Suisse in der Schweiz aufgezogen werden.
Tierwohlaspekte berücksichtigen
Welche Aspekte bei der Tierwohl Beurteilung zu berücksichtigen sind, präsentierte Christiane Keppler von der Geflügelberatung Gallicon in ihrem Vortrag. Dabei wurde klar: Man kann keine Pauschal-Aussagen zum Tierwohl in den verschiedenen Produktionssystemen machen. Denn zum einen fehlen teilweise noch belastbare Daten, zum anderen kommt es auch darauf an, dass die gewählte Lösung zum jeweiligen Betrieb mit seinen spezifischen Möglichkeiten passt.
Ein hohes Tierwohl ist grundsätzlich sowohl bei reinen Legehybriden wie auch bei den verschiedenen Zweinutzungslinien möglich. Bestimmte Aspekte des Tierwohls werden jedoch von der Genetik beeinflusst und können dementsprechend züchterisch bearbeitet beziehungsweise durch die Wahl der geeigneten Genetik reduziert werden. Hierunter fallen Federpicken, Kannibalismus, Fussballengeschwüre und Brustbeinbrüche. Eventuell trifft dies auch auf Eileiterentzündungen zu, deren Risiko bei hoher Legeleistung ansteigt. Brustbeinbrüche stehen wegen der festgestellten Häufigkeit bei Legehennen aktuell im Fokus der Forschung.
Ein wichtiger Faktor zu ihrer Reduktion sind Rampen in den Volieren, wie sie in der Schweiz bereits bei der Zulassung von Volierensystemen vorgegeben sind. Als weitere wichtige Aspekte hinsichlich des Tierwohls wurden ein höheres Tiergewicht sowie ein nicht zu hohes Eigewicht und ein höheres Alter bei Legebeginn identifiziert. Hier können Zweinutzungshühner potentiell punkten, da sie schwerer sind, und die Dual Hennen ausserdem zu Legebeginn kleinere Eier legen. Untersuchungsdaten hierzu liegen jedoch bisher nicht vor.
Weiter wies Keppler darauf hin, dass bei der Bewertung das ganze System inklusive der Haltung der Zuchttiere angeschaut werden sollte. Die Elterntierherden der Schweizer Biohühner werden bereits biologisch gehalten. Bei den Reinzuchttieren der etablierten Hybridzuchtorganisationen sind jedoch Käfighaltung und künstliche Besamung Standard. Hier punkten die Coffee und Cream Tiere der ÖTZ, bei denen auch die Zuchttiere mit Aussenklimabereich und Auslauf gehalten werden. Beides findet sich bei dem Ansatz des Projektes RegioHuhn in Deutschland, bei dem Elterntiere von Leistungshybriden mit regionalen Zweinutzungsrassen angepaart werden mit anschließendem Leistungstest. So soll neben dem erhofften Ergebnis praxistauglicher Zweinutzungskreuzungen auch zum Erhalt regionaler Rassen beigetragen werden.
Neue Vermarktungswege suchen
Die grösste Herausforderung bei der Vermarktung stellen die Legehybrid Bruderhähne dar, da sie sich mit ihrer langen, dünnen Schlachtkörperform sehr stark von den gewohnten Mastpoulets unterscheiden. Die Zweinutzungsjunghähne kommen dem gewohnten Bild zwar deutlich näher, aber auch sie weisen einen geringeren Brustfleischansatz sowie grössere Schenkel auf. Als Vorteil nannten die Teilnehmenden den besonders kräftigen Geschmack des Junghahnfleisches. Für die Vermarktung der Althennen wären Zweinutzungshühner vorteilhaft, da deutlich mehr Fleisch und je nach Genotyp auch ein höherer Brustfleischanteil vorhanden ist.
An Produktideen für Junghahnfleisch mangelte es den Teilnehmenden nicht. So schlugen sie für den Convenience- Bereich neben den Klassikern wie Nuggets, Burger oder Hackbällchen beispielsweise paniertes Brustfilet oder gekochtes Fleisch für Geflügelsalat vor.
In der Vermarktung der Eier von Lohmann Dual-Hennen müsste vor allem für den hohen Anfall an Kleineiern eine Lösung gefunden werden – beispielsweise indem in den Eierschachteln verschiedene Eiergrössen gemischt werden und ein Gesamt-Nettogewicht deklariert wird oder indem die Eier zum Kilopreis verkauft werden. Bei den Eiern der Coffee- und Cream Hennen müssten die Verbraucherinnen und Verbraucher an die unterschiedlichen Schalenfarben gewöhnt werden, da Farbnuancen von weiss bis dunkelbraun vorkommen.
Diese Eigenheiten der Eier von Zweinutzungshennen erschweren zwar auf den ersten Blick deren Vermarkung, sie lassen sich aber auch als Erkennungsmerkmal eines speziellen Produktes nutzen und bieten so die Möglichkeit, die Geschichte des Produktes zu vermitteln und die Attraktivität und Kundenbindung zu erhöhen.
Eine intensive Kommunikation über verschiedene Kanäle wird als wichtig erachtet, um die Nachfrage nach den neuen Produkten zu fördern. Hier sollten auch soziale Medien und neue Vermarktungsmöglichkeiten beispielsweise über Apps genutzt werden.