Es war ein Montag im Jahre 1987. Ernst Frischknecht, damals 48 Jahre alt und ich sassen im Zürcher Kantonsrat. Er bei der SVP, eine Fraktion von rund 50 Männern und zwei Frauen, ich schön behütet unter meinesgleichen bei den Grünen, eine farbige Gemeinschaft von 22 Ökoengagierten, zur einen Hälfte Frauen, zur anderen Männer. Die Männer der SVP in gutem Tuch, meist mit Nadelstreifen, die Bauern in der Fraktion, sichtbar schwitzend in prall gefüllten Anzügen, auch an den breiten Schultern und dem Stierennacken erkennbar. Mittendrin in der SVP-Fraktion, Ernst, ein hagerer bebrillter Mann mit einem auffallend offenen, fast etwas asketisch anmutenden aber immer freundlichen Gesicht. Typisch sein sensibler Mund, man konnte seine Stimmung, wenn man ihn gut kannte, an seiner Oberlippe ablesen. Ebenfalls in Tuch und Krawatte, aber sicher nicht nach der neuesten Mode, sauber, bescheiden, bäuerlich, kein Gramm Fett hat er scheinbar in 30 Jahren zugelegt. Es ging um Landwirtschaft, um die Förderung von Biolandbau. Beim Abstimmen musste man für ein Ja aufstehen oder verneinend sitzenbleiben, dann wurde gezählt. Bei der Abstimmung blieb die ganze SVP-Fraktion aus einem Guss einstimmig sitzen. Inmitten dieser sitzenden, kräftigen Männer – viele wurden später mit der Zürcher SVP-Welle in den Nationalrat gespült – steht Ernst gegen seine Partei auf. Selten sah ich einen Menschen so gerade aufrecht stehen. Seine Haltung erfüllte den vollbesetzten ehrwürdigen Rathaussaal mit heller Energie. Er stand wie eine Nadel. Seine Fraktion heulte: Verräter, Schwächling und andere Männerkomplimente. Das war Ernst Frischknecht. Heute kann man in seiner Biografie lesen, dass er heimlich an Magenkoliken litt und sie einsam mit seiner Frau Dorli behandelte. Er glaubte und lebte die Ideale der SVP, die Selbstbestimmung und Eigenständigkeit, täglich, persönlich als Biolandwirtpionier gegen den Strom. Aber eigenständige Meinungen waren dieser marschierenden Kampftruppe nicht genehm, man musste gemeinsam, unisono eigenständig sein. Vier Jahre später verliess Ernst, vom damaligen Parteipräsident Christoph Blocher für seine Meinung wiederholt abgekanzelt, die SVP, der Druck wurde unerträglich. Die Nadel im Heuhaufen verliess die eintönig marschierenden Heuhalme.
Eigenständig bis zur Unerträglichkeit. Das war so nur möglich durch die tief wurzelnde, schützende Beziehung zu seiner Partnerin Dorli Frischknecht-Schaufelberger.
Am 14. April 2021 hat Ernst gegen Abend die Welt verlassen. Fast ein halbes Jahr hat er gerungen mit verschiedenen heftigen und komplizierten Diagnosen, innerlich aber immer zuversichtlicher und entspannter. 14. April, es war der Tag der meistbeachteten Delegiertenversammlung von Bio Suisse – die Parolenfassung gegen die Trinkwasserinitiative. Ich bin sicher, wie Ernst gestimmt hätte, er wäre in der Minderheit gewesen in «seiner» Bio Suisse. Er hätte gekämpft gegen die einseitig wirtschaftlichen Argumente, die waren für ihn wichtig, aber nie entscheidend. Seine Meinung bezog er aus den Erlebnissen mit der Wunderwelt des Bodens, die nährende Schicht, gesund riechend wie frisches Brot, milliardenfach abgepuffert, Lebendigkeit, offene Grenze zwischen Wasser, Mineralien, Reste von Pflanzen, Tieren und Menschen, durchdrungen von Luft und Zukunft. Navid Kermani sagt in einem wunderbaren Gedicht über das Sterben: «Die Erde ist aus Himmel.»
Ernst ist dort hin gegangen.
Lieber Ernst, Adieu, wir kommen dann auch mal. Bis dann werden wir uns auch darin versuchen, gute Beziehungen zu schützen und weiter für den Boden hinstehen. Vielleicht nicht ganz so aufrecht wie Du.
Martin Ott, Präsident des Stiftungsrats des FiBL Schweiz
- Christine Loriol (2019). Damit wir auch in Zukunft eine Zukunft haben. Ernst Frischknecht – der Biopionier. Verlag elfundzehn. (externer Link)
- Ernst Frischknecht im Film «Zwischen Zorn und Zärtlichkeit -- Die Geschichte des Biolandbaus in der Schweiz» (externer Link)