«Bioterra sollte wieder kämpferischer werden.» Was meint der aktuelle Präsident der Organisation Jean Bernard Bächtiger wohl mit dieser Aussage, die er in einem Jubiläumsinterview Anfang Jahr gemacht hat? In der siebenteiligen Serie, in der die Organisation im Verlauf des Jubiläumsjahrs 2022 die eigene Geschichte aufgerollt hat, finden sich Antworten.
Hommage an eine zu früh geborene Klimaaktivistin
Was bewog die Bäuerin Mina Hofstetter noch vor dem Zweiten Weltkrieg dazu, ihr Vieh zu verkaufen und eine vegetarische Lebensweise zu propagieren? Es war ihre Vision eines Landbaus ohne Tierquälerei und «Versklavung» der Bauernfamilien durch die Milchwirtschaft sowie der Glaube an einen dadurch höheren Selbstversorgungsgrad der Schweiz.
Die Frau, die 1947 mit einer Handvoll Gleichgesinnter die Genossenschaft Biologischer Landbau GBL (heute Bioterra) ins Leben rufen würde, hinterfragte zeitlebens die Gepflogenheiten ihrer Zeit. Das zeigte sich auch in ihrem eigenen Garten. Dieser sei «nicht wie sonst hierzulande üblich, im Herbst in guter Ordnung, umgegraben und kahl». Nein, sie nutzte Mulch, bewirtschaftete ihren Garten ganzjährig und sprach von der Bodenverbesserung als Klimaverbesserung. Sie legte um ihren Gemüsegarten gemischte Wildsträucherhecken an für Vögel und andere natürliche Feinde von Schädlingen. Unwissend, dass dieses Konzept selbstverständlicher Bestandteil der Naturgartenbewegung werden würde, die erst in den 1980er-Jahren aufblühen sollte.
Die Influencerinnen von damals
Neben Mina Hofstetter gab es zahlreiche weitere Vordenkerinnen und zunehmend auch Hobbygärtnerinnen, die Trends erkannten und das Wissen um den Bio- und Naturgarten weiterverbreiteten. Beispielsweise Anita Schoch, die heute wohl eine einflussreiche Influencerin wäre mit ihren Video-Tutorials, die sie in den 1980er-Jahren für das Schweizer Radio und Fernsehen SRF produzierte. Aber auch introvertiertere Persönlichkeiten wie Frieda Welten – nach der übrigens eine Winterkefensorte von Pro Specie Rara benannt ist – machten auf sich aufmerksam. Die Hauswirtschaftslehrerin aus Spiez, die bis 1979 über 90 Vorträge gehalten und über 60 Kurse organisiert hatte, musste regelrecht dazu gedrängt werden, ihr Wissen aufzuschreiben. Es folgte ein Kassenschlager zum biologischen Gartenbau.
Mit dem Ratgeber «Biologischer Pflanzenschutz» schufen auch Silvia Henggeler und Otto Schmid in den 1970er-Jahren ein zeitloses Standardwerk, das sich über 135 000 Mal verkaufte und heute noch erhältlich ist. Sie taten dies auf Einladung des charismatischen Heinz Bertschinger (von 1960 bis 1985 Präsident von Bioterra), aus dessen Umkreis auch die Pestizidinitiative hätte stammen können.
Regionalgruppen, Grassroots nach Schweizer Façon
Die Anfänge von Bioterra, respektive ihrer Gründungsorganisationen, waren also geprägt von herausragenden Einzelpersonen. Doch erst die Regionalgruppen verschafften der Organisation ab 1979 die nationale Reichweite, die sie heute hat. Durch die langfristig aufgebauten Netzwerke erhielt der Verein einerseits Basisnähe. Andererseits sorgten sie für den notwendigen Schwung, die Welle in Bewegung zu halten, die durch Pionierinnen und Visionäre angestossenen wurde. Wären da nicht all die Regionalgruppenmitglieder, die sich aus derselben Überzeugung heraus freiwillig engagieren, wer würde ihr Wissen weitertragen? Wer würde an den Marktständen, auch bei Regen, das Feuer für die Natur im Garten entfachen?
«Bioterra»: mehr als eine Vereinszeitschrift
Die Organisation ist auf ihre inzwischen rund 16 500 Mitglieder, die jeweils einer Regionalgruppe angehören, angewiesen. Untereinander sind diese nicht zuletzt über das gleichnamige Magazin «Bioterra» verbunden. Ab den 1990er-Jahren, in der Bioterra den heutigen Namen und ein neues Signet erhielt, setzte man sich zum Ziel, vermehrt in die Öffentlichkeit zu treten. So begann sich dank der anfänglich reinen Vereinszeitschrift zunehmend ein breiteres Publikum – auch abseits der klassischen alternativen Szene – für den Bio- und Naturgarten zu begeistern.
Die Mitgliederzahlen stiegen stetig weiter. Das Mitgliederprofil wandelte sich parallel zur Mitgliedsorganisation, die sich von der Landwirtschaft weg- und in den Bereich der privaten Gärten, Balkone und öffentlichen Grünflächen hineinbewegt hatte. Das Thema als solches hatte Bioterra als erste Organisation besetzt und ab der Jahrtausendwende wie keine andere ästhetisiert. Stellvertretend dafür steht dafür der seit 2003 verwendete Claim «Gärtnern | Gestalten | Geniessen».
Alter Verein, junge Branchenorganisation
Der ästhetische Aspekt der Gestaltung und der menschliche des Geniessens erhielt 2008 nochmals eine neue Bedeutung, als der Verband Natur Garten VNG – zusammen mit den Biogärtnereien – zu Bioterra stiess. In den Naturgarten-Richtlinien, nach denen zertifizierte «Bioterra Fachbetriebe» arbeiten, wird neben der Schaffung von Lebensräumen für einheimische Pflanzen- und Tierarten unter anderem auch der Orientierung am Menschen eine besondere Bedeutung beigemessen.
Ganz im Sinne des Naturgartenpioniers Andreas Winkler, der erklärte, es sei nicht das Ziel des Naturgartens, alle Flächen in ein paradiesisches Freiland-Ökomuseum umzugestalten. Der Garten darf und soll auch einen Erholungswert für die Menschen, die ihn pflegen, bieten.
Die Biogärtnereien ihrerseits produzieren ihr vielfältiges Pflanzenangebot nach Richtlinien der 2021 vierzigjährigen Organisation Bio Suisse, die Bioterra damals mitgegründet hat. Ohne den Kampfgeist der ersten Stunde, hätten sich Mina Hofstetter und Co. dem Gegenwind, der dem Biogedanken anfänglich entgegenwehte, bestimmt nicht so erfolgreich entgegengestellt. Dass es ihn auch heute noch braucht, um eine nachhaltige, mit Verzicht verbundene Lebensweise gesellschaftstauglich zu machen, ruft Präsident Jean Bernard Bächtiger im Jubiläumsjahr in Erinnerung.
Medienmitteilung Bioterra vom 20.12.2022
Weiterführende Informationen
75 Jahre Jubiläum (Bioterra)
Biozierpflanzenbau (Rubrik Pflanzenbau)