Die biodynamische Landwirtschaft feiert heuer ihr 100-jähriges Bestehen. Die Struktur der Demeter-Bewegung in der Schweiz ist komplex: Sie setzt sich aus dem Verein für biologisch-dynamische Landwirtschaft, dem Schweizerischen Demeter-Verband, dem Konsumenten-Verband, der IG Verarbeitung und Handel sowie der Demeter-Geschäftsstelle GmbH zusammen. Die heterogene Struktur ist historisch gewachsen. Sie macht Prozesse aufwendig und Entscheidungsfindungen kompliziert. Deshalb wollen die Verantwortlichen nun eine Reorganisation umsetzen. Vereinspräsident Alfred Schädeli ist massgeblich involviert in diesen Prozess.
Weitgereister Landwirt und Agrarjournalist
Schädeli ist 59, gelernter Landwirt, hat anschliessend in Dänemark und den Niederlanden Praktika und das Studium zum Agronom am «Tech» in Zollikofen absolviert. Anschliessend war Schädeli drei Jahre lang als Redaktor beim «Schweizer Bauer» tätig, arbeitete dann weiter als freier Journalist und Campaigner. Drauf stieg er auf dem elterlichen Betrieb in Uettligen ein und bewirtschaftete diesen während sechs Jahren mit seinem Bruder Theo. Gemeinsam stellten sie den Betrieb direkt auf biodynamische Landwirtschaft um.
Dann zog es ihn zurück in den Journalismus. Er amtete während acht Jahren als Chefredaktor vom Bioaktuell Magazin, bevor er als Co-Pächter den FiBL-Hof übernahm und diesen während 10 Jahren führte, gemeinsam mit seiner Partnerin Bronya Dehlinger. Die letzten fünf Jahre war Schädeli Co-Pächter auf dem Demeterhof Looren in Wernetshausen im Zürcher Oberland und packt jetzt neue Projekte an. Kurz vor unserem Interview im Juli ist er von von einem dreimonatigen Aufenthalt in den USA zurückgekehrt, die Auszeit hat er unter anderem genutzt, um Demeter-Betriebe kennenzulernen.
Gefällt Dir das Amt als Präsident des Vereins für biodynamische Landwirtschaft?
Alfred Schädeli: Ja, ausgezeichnet, die Zusammenarbeit mit dem Vorstand und der Geschäftsstelle ist sehr gut. Und es ist eine sehr spannende Zeit, weil wir versuchen, alles neu zu strukturieren. Wir wollen fünf Organisationen unter ein Dach bringen.
Ihr habt das kürzlich präsentiert an den Hauptversammlungen des Vereins und des Verbands, wie läuft der Prozess?
Gut, wir haben von Verein und Verband bereits den Auftrag zur Umsetzung. Das sind die beiden wichtigsten Player. Unser Ziel ist es, dass die gesamte Wertschöpfungskette, also Produktion, Verarbeitung, Handel und Konsumentenschaft, in der neuen Organisation vertreten ist. Traditionell gibt es in der Demeter-Bewegung eine enge Zusammenarbeit zwischen Konsument*innen und Landwirt*innen. Erstere haben sich immer dafür eingesetzt, für zweitere einen Absatzmarkt zu schaffen. Ich glaube, dass wir mit einer solchen neuen Struktur ein Zeichen setzen werden, denn die Weiterentwicklung der nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft ist nur gemeinsam möglich.
Gibt es Widerstände oder Bedenken gegen die Reorganisation?
Insgesamt sind wir auf einem guten Weg. Zum Teil gibt es Ängste Konsument*innen, Landwirt*innen sowie die Vertreter*innen von Verarbeitung und Handel sollen sich in der neuen Organisation gleichberechtigt und auf Augenhöhe begegnen. So etwas ist in der Schweiz ein absolutes Novum. Wir streben das Miteinander an, nicht nur auf dem Papier, sondern gelebt. Das ist organisatorisch, aber auch zwischenmenschlich eine Herausforderung.
Sind zum Beispiel Migros und Coop auch dabei?
Mit Coop und Migros haben wir Markennutzungsverträge, beide sind auch Mitglied in unserer Interessengemeinschaft Handel und Verarbeitung und senden je eine*n Delegierte*n in die Mitgliederversammlung des Schweizerischen Demeter-Verbands. Damit sind sie bereits jetzt ein Teil der Struktur und abstimmungsberechtigt.
Bis wann wollt ihr die Reorganisation umsetzen?
Das sollte im Jahr 2025 abgeschlossen werden können.
Was sind die Vorteile, die Ihr Euch erhofft?
Dass wir mit einer Stimme sprechen. Die Strukturen sind im Moment so kompliziert, dass wir sie selber zum Teil fast nicht verstehen. Das kann Doppelspurigkeiten verursachen, und es gibt einen grossen Koordinationsaufwand um zu klären, wer was macht.
Seit acht Jahren sind Eure Produkte im Regal bei Migros und Coop, was für ein Fazit ziehst Du?
Die Grossverteiler haben unser Marktpotenzial erheblich erhöht. Zudem haben sie Möglichkeiten, die der traditionelle Biohandel nicht hat. Ein Beispiel dafür ist der Abbau von Produktestaus. Zudem sind Demeter-Produkte für die Konsument*innen besser verfügbar, und die Bekanntheit des Labels hat zugenommen.
Verhandelt Ihr mit diesen direkt, oder sind das die Verarbeiter*innen?
Wir vermarkten selber nichts, können aber den Markt ein Stück weit koordinieren und Projekte anschieben. Die Grossverteiler bekennen sich mit den Markennutzungsverträgen zur biodynamischen Landwirtschaft, was wir in Jahresgesprächen und Kaderschulungen auf Demeter-Höfen vertiefen. Bezüglich Verhandlungen sind uns kartellrechtlich die Hände gebunden. Deshalb peilen wir die Gründung einer Branchenorganisation an, um auf breiter Ebene verbindliche Marktgespräche führen zu können.
Mit dieser Branchenorganisation Demeter wollt Ihr dann auch Marketingbeiträge des Bunds abholen?
Bio Suisse ist der Hauptansprechpartner des Bundes für die Biobranche. Über Bio Suisse bekommen wir schon heute Marketingbeiträge des Bundes.
Ihr habt Euch ja an der kürzlichen Hauptversammlung namens des Vorstands entschuldigt für die Art und Weise, wie der Markteintritt bei Migros und Coop vonstatten gegangen ist, was ist damals schiefgelaufen?
Dieser Schritt war damals zu wenig breit abgestützt. Die Bäuerinnen und Bauern des Vereins wurden während der Verhandlungsphase mit den Grossverteilern viel zu wenig einbezogen und sahen sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Das hat über die Jahre für viel böses Blut gesorgt und ist immer wieder aufgepoppt. Dafür haben wir uns entschuldigt.
Ist es nun erledigt mit dieser Entschuldigung?
Nein, das ist nicht erledigt. Eine Entschuldigung ist ja nur ein Angebot, da zeigt man den guten Willen, wieder auf einer neuen Ebene anzufangen. Wir hoffen, dass die Entschuldigung angenommen wird, was jedoch Zeit braucht. Die positiven Reaktionen auf unsere Entschuldigung stimmen mich optimistisch.
Aber ein Ausstieg aus der Zusammenarbeit mit den beiden Detailhändlern ist kein Thema?
Nein. Es ging hier gar nicht um den Inhalt des Entscheids, sondern um die Art und Weise, wie er zustande kam. Und nein, eine Kehrtwende ist kein Thema. Wir sind ein verlässlicher Partner.
Ist durch die Zusammenarbeit auch die Zahl der Demeter-Betriebe gestiegen?
Die Zahl der Betriebe ist markant gestiegen, dafür gibt es vielleicht auch noch andere Gründe, aber es hat sicher einen Boost gegeben. Derzeit sind wir bei 420 Betrieben. Vor dem Einstieg bei Migros und Coop waren es 250 Betriebe.
Sind die Umsteller vor allem Neuumsteller oder solche, die von Knospe auf Demeter wechseln?
Es gibt beides, aber es ist schon recht häufig, dass man zuerst Knospe macht und dann auf Demeter umstellt.
Was habt Ihr für Ziele punkto Betriebszahl, wollt Ihr weiter wachsen?
Unter den Mitgliedern herrscht Konsens, dass es ein gewisses Wachstum ertragen mag. Aber wir dürfen nicht allzu schnell wachsen, weil die biodynamische Bewegung auch einen weltanschaulichen Hintergrund hat, der wichtig ist für die Produktionsweise. Um unsere Wirtschaftsweise voranzubringen, müssen wir dem Gleichgewicht zwischen Produktion und Weltanschauung Sorge tragen.
Aber es gibt keine Weltanschauungsprüfung, wenn du neu zu Demeter wechseln willst?
Nein, natürlich nicht, wir haben keine Gewissenspolizei. Es ist grundsätzlich jede*r willkommen, der oder die unsere Produktionsrichtung gut findet.
Wie würdest Du das Verhältnis von Demeter zur Bio Suisse charakterisieren?
Die Bio Suisse ist unsere Tochter (lacht). Wir sind eines von fünf Gründungsmitglieder der Bio Suisse, nebst Biofarm, Bioterra, FiBL und Progana. Wir haben 1981 zusammen die Bio Suisse-Vorgängerorganisation VSBLO gegründet. Die Zusammenarbeit ist bis heute gut.
Der Landwirtschaftliche Kurs von Rudolf Steiner, der ein landwirtschaftlicher Laie war, ist jetzt 100-jährig. Sind diese Kenntnisse noch auf der Höhe der Zeit, oder braucht es da Retuschen?
Die Idee von Rudolf Steiner war, dass die Bauern und Bäuerinnen selber wissen müssen, wie man es richtig macht. Sie sollen mit den Inhalten des Kurses so verfahren, dass es ihnen auf den Höfen dient. So gesehen sind wir immer noch nahe dran an der «reinen Lehre», denn die Produktionsrichtlinien werden von den Landwirt*innen bestimmt. Jede Richtlinienänderung muss vor die Hauptversammlung. Das ist eine Herausforderung, mit der wir uns selber auch immer auseinandersetzen müssen. Wir wollen keinem Dogma folgen.
Kannst Du noch etwas mehr sagen zu den Umständen, wie es zum Kurs kam?
Als Steiner vor 100 Jahren den Landwirtschaftliche Kurs in Schlesien (heute Polen, damals Deutschland, Red.) abgehalten hatte, war die erste grosse Welle der Industrialisierung der Landwirtschaft im Gang. In der Nähe von Wroclaw (Breslau) wurde eine Zuckerfabrik gebaut, zu der 18 Güter mit 7500 Hektaren Land gehörten. Die Intensivierung hatte stark negative Auswirkungen auf die Böden, die Erträge sanken dramatisch. Gründe waren Monokultur, synthetischer Stickstoffdünger, Nematoden und schlechtes Saatgut. Deshalb holte man Rudolf Steiner, der damals in Dornach lebte, auf eines dieser Güter, um Gegensteuer zu geben. Er hatte einen geistes- statt naturwissenschaftlichen Ansatz: Berücksichtigung des Kosmos, Einsatz von Präparaten, Erhaltung des Betriebsorganismus und Zusammenarbeit mit der Natur. Das war sein Ansatz als Angebot an die Betriebe.
Wurde das Angebot angenommen?
Zum Teil ja, aber es folgten wilde Zeiten mit Wirtschaftskrise, Kriegswirren, Plünderungen, Grenzverschiebungen, Vertreibungen und Umstellung auf Kolchosenwirtschaft. Mit den Flüchtenden verlagerte sich Steiners Ansatz in den Westen. In Deutschland gibt es noch heute am meisten biologisch-dynamische Betriebe, viele auch in der Schweiz, Frankreich, Spanien, Italien, Südamerika, Indien, Afrika, USA und in Australien, dort mit riesigen Flächen.
Gibt es eigentlich auch internationale Demeter-Richtlinien?
Es gibt internationale Demeter-Richtlinien, die einen verbindlichen Mindeststandard darstellen, der weltweit eingehalten werden muss. Darauf basierend können die Länderorganisationen ihre eigenen Richtlinien entwickeln, wenn sie dies möchten. In der Schweiz berücksichtigen wir zum Beispiel immer auch die Bio Suisse-Richtlinien.
In der Schweiz habt Ihr jüngst die Abtränkpflicht für Kälber in die Richtlinien aufgenommen, gibt es weitere Entwicklungspläne? Ihr müsst ja immer etwas Vorsprung behalten auf die Knospe…
Es ist nie unsere Intention, dass wir besser sein müssen als die Knospe. Gerade die Kälberrichtlinie haben wir nicht gemacht, weil wir uns einen Marktvorteil versprechen. Im Gegenteil, wir nehmen dort eher Schwierigkeiten in Kauf, weil es dafür noch überhaupt keinen Mehrwert gibt. Aber es besteht bei uns Konsens, dass die Quersubventionierung des Milchpreises durch das Abschieben der Tränkekälber nicht richtig ist und keine Zukunft hat. Das hat viele Bäuerinnen und Bauern gestört, deshalb kam es zu dieser Richtlinienanpassung. Ab 2031 müssen alle Kälber, die auf einem Demeter-Hof geboren werden mindestens 120 Tage auf dem Betrieb bleiben. Jetzt läuft die Übergangsfrist, und jedes Jahr ist ein höherer Anteil der Kälber betroffen, 2024 sind es 30 Prozent, nächstes Jahr 40 Prozent und so weiter. Damit beheben wir eine Schwachstelle im System.
Wie weit seid Ihr mit der Vermarktung der abgetränkten Käber?
Für die Mastremonten können wir auf den bestehenden Markt auf Weidemastbetrieben aufbauen. Dieser muss in den kommenden Jahren beträchtlich ausgebaut werden, und in der Folge auch der Fleischmarkt. Da kommt eine grosse Herausforderung auf uns zu. Umso erfreulicher ist, wie gut ein solcher Hosenlupf an der Richtlinienversammlung über die Bühne ging, praktisch einstimmig.
Interview: Adrian Krebs, FiBL
Weiterführende Informationen
Webseite des Verein für biologisch-dynamische Landwirtschaft (www.demeter.ch)