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Der Rebberg als Mischkultur

Meldung  | 

Kleine Bäche, Hecken, Rebhänge und Obstbäume - eingebettet in die Hügel zwischen Winterthur und Frauenfeld, passen die Agro- und Vitiforstanlagen von Jürg und Pascale Strauss gut zur Landschaft. Gemeinsam bewirtschaften sie seit 2016 den Betrieb Strauss Bioagrikultur in Rickenbach ZH mit 12 Hektaren Obst-, Reb- und Ackerflächen. Im Vordergrund steht für die beiden die Vielfalt auf dem Knospe- Betrieb. Die lässt sich gerade in den Reben gut erleben.

Vielfalt im Weinberg: In den Rebzeilen von Strauss Bioagrikultur wachsen neben Reben auch Apfelbäume, Kiwi und Nussbäume. Foto: FiBL, Jeremias Lütold

Vielfalt im Vitiforst ist für Jürg Strauss mehr als nur Bäume im Rebberg. Foto: Jeremias Lütold, FiBL

Laut Linnéa Hauenstein, Projektleiterin Vitiforst am FiBL, ist es wichtig, klare Zielsetzungen für eine Vitiforstanlage zu haben. Foto: FiBL, Jeremias Lütold

Abwechslung im Rebberg ist für Jürg und Pascale Strauss wichtig. Foto: FiBL, Jeremias Lütold

In einer neu angelegten Rebzeile stehen alle paar Meter junge Apfelbäume, die Jürg Strauss wie die Reben am Draht erzieht. Anderswo folgt auf einen Rebstock plötzlich eine Kiwi oder auch ein schon hoch gewachsener Baumhasel oder ein Nussbaum. Die Unterstockpflege versucht Jürg Strauss extensiv zu gestalten. Zwischen den Reihen sind auch Blühstreifen angelegt, in einem Streifen steht sogar hoher Dinkel und vor einem Jahr wuchsen Kartoffeln und Zuckermais in den Reben. Den Dinkel hat Jürg Strauss letztes Jahr spontan ausgesät. Der Streifen beherbergt viele Spinnen und eine vielfältige Ackerbegleitflora. «Normalerweise ernten wir die Sekundärkulturen, der Dinkel aber bleibt stehen und bietet so einen ganz speziellen Lebensraum, den man sonst in Rebbergen nicht findet», sagt Jürg Strauss.

Vitiforst als Proberaum

Schon rein visuell findet der ursprünglich gelernte Grafiker seine gemischten Rebberge attraktiv. Die Abwechslung der Kulturen mache die Arbeit sinnlicher. «Eine Kiwi in der Rebzeile unterbricht den Arbeitsfluss, das verändert den Blick auf die eigene Arbeit», findet Jürg Strauss. Man könne das Spiel mit den Möglichkeiten der gemischten Kulturen zwar endlos weiterspinnen, es müsse sich aber auch immer die Frage nach dem Aufwand und dem Nutzen stellen. Schützen die grossen schattenwerfenden Blätter der Kiwi die Reben vor der zunehmend stärkeren Sonneneinstrahlung? Lassen sich die Kiwis und das andere Obst aus dem Rebberg gut vermarkten? Wie verändern neue Elemente im Rebberg die Arbeitsabläufe?

Im Vitiforst von Jürg Strauss steckt viel Überzeugung. Die Integration von Bäumen in Rebbergen verspricht, genauso wie in einem Agroforst, das System widerstandsfähiger zu machen. Auch Jürg Strauss will seine Rebberge als robustes Gesamtsystem entwickeln. Trotzdem fehle es nach wie vor an klaren Fakten über die Effekte einzelner Elemente. «Damit Systeme wie Vitiforst breite Anwendung finden, braucht es viel mehr wissenschaftliche Erkenntnisse», ist Jürg Strauss überzeugt. Seit 2023 ist Strauss Bioagrikultur Teil des Projekts Vitiforst am FiBL, dass die Auswirkungen verschiedener Bäume und Nutzpflanzen im Rebberg untersucht.

Neue Wege für Rebberg und Marketing

Linnéa Hauenstein leitet das Projekt, zu den bestehenden Anlagen sagt sie: «Die Systeme sind so divers, jedes ist individuell gestaltet. Sinn und Zweck eines Vitiforst kann sehr unterschiedlich sein». Es gäbe qualitative Ansprüche an einen Vitiforst, etwa wenn das Laub integrierter Gehölze Schatten auf die Trauben werfen soll. Andere wie Jürg Strauss wollen die Kultur aufbrechen und allmählich ein neues System entwickeln, dass zusammen gezielten Sortenpflanzungen stärker gegenüber klimatischen Veränderungen wird. Man untersuche zwar spezifisch gewisse Interaktionen im Rebberg, aber ob das System Vitiforst gesamthaft funktioniert, hänge auch von den Erwartungen ab. «Man sollte sich klar machen, was man von einem Vitiforst will», ist Linnéa Hauenstein überzeugt. 

Für Jürg Strauss bieten sich auch neue Möglichkeiten in der Vermarktung der Weine. «Wir kommen von der Direktvermarktung weg und suchen neue Wege im Vertrieb und der Vermarktung in Zusammenarbeit mit einer grossen Detailhändlerin», sagt Jürg Strauss. Mit den ausschliesslich mit PIWI-Sorten bestockten Rebbergen und dem Vitiforst lasse sich Wein nochmal mit einem ganz neuen Kapitel erzählen – und natürlich verkaufen.

Mit geringem Input viel erreichen

Mit Vitiforst verfolgt Jürg Strauss aber auch eine konsequente agrarökologische Weiterentwicklung des Betriebs, den seine Eltern bereits vor 24 Jahren auf Bio Knospe umgestellt haben. Die Reben wurden zudem schon vor der Umstellung durch robuste Sorten ersetzt und biologisch bewirtschaftet. So stehen in den Rebbergen der Familie Strauss bald dreissigjährige Piwi-Reben. Mit Piwi-Sorten und Vitiforst sieht Jürg Strauss eine Zukunft für seine Reben. Eine grosse Herausforderung sei es, die Klimaveränderungen mit der Produktivität der Rebberge so zu vereinen, dass die Arbeit wirtschaftlich bleibe.

Jürg Strauss hinterfragt mit seinem Vitiforst aber auch ganz grundsätzlich Sinn und Zweck eines Rebbergs. Für ihn steht Wein zu weit oben in der Lebensmittelpyramide, für das sich der grosse Aufwand rechtfertigen lässt. «Eigentlich braucht es sehr viele Hilfsstoffe und viel Arbeit, um Alkohol zu produzieren», sagt er. Mit Piwi-Sorten sei aber schon viel erreicht. Jürg Strauss bringt wenig Pflanzenschutzmittel aus und fährt weniger mit Maschinen durch die Reihen. Dass der Rebe in einem Weinberg aber viel Aufmerksamkeit zukommt, scheint zunächst logisch. In einem Vitiforst wird die Rebe aber zu einer Kultur unter vielen. «Es muss sich nicht alles um die Rebe drehen», ist Jürg Strauss überzeugt. Vielmehr gehe es darum, sowohl für Betriebe wie auch für Konsumentinnen und Konsumenten eine Perspektive auf Rebberge als vielseitig nutzbare und robuste Systeme zu schaffen. Und: «Es braucht einfach eine viel entschlossenere Anpassung an die Herausforderungen der Zukunft, wenn man weiter Wein verkaufen will».

Forschung zu Vitiforst 

Trotz wachsendem Interesse fehlt es an unterstützenden Informationen zu Rebbergen als Vitiforst. Das FiBL-Forschungsprojekt Vitiforst geht der Frage nach, welchen Einfluss Bäume in Rebbergen auf das Mikroklima, die Wasser- und Nährstoffversorgung sowie auf die Zusammensetzung der Mykorrhizapilze haben. Das Projekt will zudem klären, ob Bäume im Rebberg den klimatisch bedingten Stress während trockener und heisser Jahre verringern. Neben einer traditionellen Rebanlage mit Kopfweiden in der Romandie werden dazu auch neu angelegte Vitiforste mit verschiedenen Obst- und Wertholzbäumen untersucht. Laut Projektleiterin Linnéa Hauenstein sei es spannend zu sehen, ob und wie die unterirdischen Interaktionen die Resilienz der Reben steigern und ob zu den anfänglich vorhandenen Pilzen nach vier Jahren weitere Arten dazukommen. Auch sei interessant zu untersuchen, wie gross die Unterschiede in der Zusammensetzung der Pilze sind, je nachdem wie gross der Abstand zwischen Rebe und Baum ist. Und: «Die Idee ist, dass wir mit den neu gepflanzten Anlagen eine solide Datengrundlage schaffen, sodass man das Projekt bei Bedarf verlängern kann und somit die Basis für langfristige Untersuchungen ermöglicht».

Jeremias Lütold, FiBL
Dieser Artikel ist auch im Bioaktuell Magazin 1/2025 erschienen. 

Weiterführende Informationen

 

Hinweis: Dies ist eine tagesaktuelle Meldung. Sie wird nicht aktualisiert.

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