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Stimme zum 50-Jahr-Jubiläum vom FiBL: Raphaël Charles

Meldung  | 

Raphaël Charles leitet seit 2016 das Departement Westschweiz des FiBL. Der Agrar- und Nutzpflanzenwissenschaftler arbeitete zuvor 22 Jahre in der Gruppe Ackerbausysteme bei Agroscope Changins im Kanton Waadt.

Raphaël Charles, Experte für Anbausysteme. Foto: FiBL

"Bio muss für alle zugänglich sein"

Wie sind Sie zur biologischen Landwirtschaft gekommen?
Raphaël Charles: Nach meinem Studium der Agrarwissenschaften an der ETH Zürich kam ich 1994 zu Agroscope Changins. Dort war ich im Bereich Anbausysteme tätig und konnte teilweise eng mit dem FiBL zusammenarbeiten. Dank des "Systemansatzes" und meiner kritischen Haltung als Wissenschaftler wurde ich mir allmählich bestimmter globaler Herausforderungen bewusst und begann zu verstehen, dass der Biolandbau vielversprechende Perspektiven eröffnet.

Warum ist in der Westschweiz erst 2016 offiziell eine Forschungsbewegung rund um den Biolandbau entstanden?
Die Institutionen im Biobereich sind erst spät entstanden im Vergleich zur agronomischen Biobewegung, die schon viele Jahrzehnte an Praxis aufweist. Einige der Schweizer Biopionierinnen und Biopioniere stammen nämlich aus der Romandie. In kommerzieller Hinsicht hinkte unsere Region jedoch lange Zeit hinterher.

Für die Entwicklung der Bioforschung und der Bioberatung in der Romandie ist die grundlegende Arbeit von Maurice Clerc und Jean-Luc Tschabold vom FiBL, Gerhard Hasinger und Josy Taramarcaz von Agridea, wie auch Pascal Olivier von Bio Suisse sowie deren Mitgliedorganisationen hervorzuheben. Auf diese konnte sich Dominique Barjolle, die damalige Vizedirektorin des FiBL, bei der Gründung der Westschweizer Zweigstelle stützen. Die Zweigstelle wurde 2016 eröffnet.

Wie waren damals die Rahmenbedingungen für den Biolandbau in der Romandie?
Es gab positive Reaktionen und Unterstützung, sowohl vonseiten der Praxis als auch der öffentlichen Institutionen. Das Bundesamt für Landwirtschaft und die Waadtländer Generaldirektion für Landwirtschaft, Weinbau und Veterinärwesen haben uns sofort Aufträge erteilt. Dadurch waren wir in der Lage, uns personell gut aufzustellen. Zudem konnten wir auf unsere französischsprachigen Kollegen in Frick zählen. Der Empfang durch Agridea, die uns Büroräume vermietet, war sehr konstruktiv. Wir zeigten unsere Bereitschaft, mit allen Akteurinnen und Akteuren der Branche zusammenzuarbeiten und konnten uns so schnell und effizient in das lokale landwirtschaftliche Gefüge integrieren.

Welche Entwicklungsstrategie haben Sie seit 2016 verfolgt?
In unserer Zweigstelle, die inzwischen zu einem Departement geworden ist, wird eine Start-up-Mentalität gelebt. Die Anforderungen an alle Mitarbeitenden sind hoch, wobei wir der Kompetenz und der Selbstständigkeit ebenso viel Bedeutung beimessen wie den menschlichen und sozialen Qualitäten. Jedes Jahr konnten wir zwei äusserst engagierte Personen neu in unser Team aufnehmen. Durch die Anstellung neuer Mitarbeitenden in den vergangenen Jahren sind wir nun in allen Bereichen aktiv, vom Hof bis auf den Tisch, in der angewandten Forschung wie auch in der Beratung.

Was erfüllt Sie als Leiter des Departements heute mit besonderer Zufriedenheit?
Täglich mit einem kompetenten, eingespielten und engagierten Team zusammenzuarbeiten, in dem sich die Menschen wohlfühlen und in ihrem Tätigkeitsbereich aufblühen. Ich bin für dieses Privileg auf menschlicher Ebene extrem dankbar. Stolz bin ich auch darauf, dass ich Projekte Hand in Hand mit Bäuerinnen und Bauern, Institutionen und Berufsverbänden umsetzen konnte. Ein Beispiel dafür ist Progrès Sol, ein Projekt, das Ende 2022 nach einer fünfjährigen Zusammenarbeit mit Proconseil, dem Beratungsdienst von Prométerre sowie mit konventionellen und biologischen Landwirtinnen und Landwirten im Kanton Waadt abgeschlossen wurde.

Vor welchen Herausforderungen steht der Biolandbau Ihrer Meinung nach in der Schweiz?
Erstens muss Bio für alle zugänglich gemacht werden, und damit meine ich sowohl die Landwirtschaft als auch den Konsum. Derzeit steckt Bio noch zu sehr in einer Nische. Es geht darum, den gesamten Sektor zu überdenken, um ihn auszubauen. Eine zweite grosse Herausforderung besteht meiner Meinung nach darin, die zahlreichen Leistungen, die der Biolandbau erbringt, sichtbar zu machen – so zum Beispiel die Förderung der Artenvielfalt oder seinen sozialen Beitrag. Bisher wird Bio in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals mit einer pestizidfreien Landwirtschaft gleichgesetzt. Es ist an der Zeit, diese Vereinfachung durch eine Botschaft der Multifunktionalität zu ersetzen. Drittens ist es notwendig, die Herausforderungen auf der Ebene der Ernährung und nicht nur der Landwirtschaft anzugehen. Ich finde, dass der Fokus zu oft auf den Bäuerinnen und Bauern liegt, obwohl die Problematiken gleichermassen den Konsum betreffen. Und schliesslich muss die Forschung die Landwirtinnen und Landwirte noch intensiver als bisher einbeziehen. Letztere sind immer besser ausgebildet und es ist wichtig, sie nicht nur als Dienstleistende, sondern auch und vor allem aufgrund ihres Wissens stärker einzubeziehen. Was die Einbeziehung der Akteurinnen und Akteure entlang der Lebensmittelkette betrifft, so stehen wir erst am Anfang.

Interview: Claire Berbain und Emma Homère

Dies ist eine gekürzte und leicht angepasste Version eines Interviews, das in der Ausgabe 5/23 des Magazins Bioaktuell erschienen ist.

Weiterführende Informationen

Interview "Bio muss für alle zugänglich sein" aus dem Magazin Bioaktuell 5/23 (orgprints.org)

 

Hinweis: Dies ist eine tagesaktuelle Meldung. Sie wird nicht aktualisiert.

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