Die Debatte im Ständerat zur Agrarpolitik (AP) war emotional und ignorierte klare Fakten. Die Befürworter einer Sistierung bezeichneten einerseits die Botschaft des Bundesrats als Unsinn. Gleichzeitig wurde dieselbe Botschaft zitiert, um mit sinkenden Bruttoerlösen und Rechenspielen zum Selbstversorgungsgrad die AP zu torpedieren. Dass zum Beispiel das Einkommen pro Betrieb zwischen 2018 und 2025 um nicht weniger als 18 Prozent von 62 900 Franken im Jahr 2018 auf 74 300 Franken zunehmen soll, wurde ignoriert oder zurückgewiesen.
Alarmierende Situation in Natur und Umwelt
Ebenso wenig nahm eine Mehrheit des Ständerats den dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Umwelt ernst. Gemäss Bericht des Bundesrates zum Postulat Bertschy 13.4284 war 2016 keines der Umweltziele Landwirtschaft von 2008 (UZL) vollständig erreicht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. So forderten die Konferenzen der kantonalen Landwirtschafsdirektoren und der Umweltdirektoren im Vorfeld der aktuellen Debatte vergebens: «Für beide Konferenzen ist es ein zentrales Anliegen, dass die Umweltziele (UZL) möglichst bald erreicht werden.» Bio Suisse analysiert: Die Weiterführung der bisherigen Politik, ergänzt um den Absenkpfad für Pestizide und Nährstoffüberschüsse (19.475), ermöglicht Verbesserungen bei lediglich fünf der 13 UZL. Die AP22+ bietet Massnahmen zur Umsetzung aller 13 UZL (siehe Grafik).
UZL reichen nicht
Seit die UZL 2008 beschlossen wurden, ist zusätzlicher Handlungsbedarf entstanden, für den die AP22+ erste Massnahmen vorgesehen hätte. Diese bleiben nun bis mindestens 2026 weitgehend liegen:
- Das Parlament hat mit dem CO2-Gesetz die Klimaziele für die Schweiz wesentlich verschärft, seit der Bund im Jahr 2011 seine Klimastrategie Landwirtschaft verfasst hat. Ohne Agrarpolitik wird weiterhin wenig bis gar nichts getan werden, während die EU mit Green Deal und Vom-Hof-auf-den-Tisch-Strategie rasch vorwärts geht.
- Die Uno-Agenda 2030 hat Nachhaltigkeitsziele bezüglich Landwirtschaft und Ernährung formuliert und eine Transformation des Ernährungssystems gefordert. Diese bleibt nun liegen.
- Biodiversitätsstrategie: Das alarmierende Artensterben nimmt ohne die verbesserten Instrumente der AP22+ ungebremst zu.
- Die vom Nationalen Forschungsprogramm 69 zur gesunden Ernährung und nachhaltigen Lebensmittelproduktion (2013 bis 2020) geforderte ganzheitliche Ernährungsstrategie bleibt liegen.
- Gemäss Nationalem Forschungsprogramm 68 Boden (2013 bis 2018) ist ein Drittel der landwirtschaftlichen Böden verdichtet. Die Böden verlieren an organischer Substanz (Klima!), sind erosionsgefährdet und von Biodiversitätsverlust betroffen. Die für die AP22+ entwickelten Massnahmen kommen nun nicht.
Immense externe Kosten
Die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften berechnete eben erst die ungedeckten gesellschaftlichen Kosten des Stickstoffs und bezifferte diese auf 860 bis 4300 Millionen Franken jährlich. Dafür ist und bleibt die Landwirtschaft mit siebzig Prozent hauptsächlich verantwortlich – bei einem Einkommen von rund 3000 Millionen Franken und Direktzahlungen von 2800 Millionen Franken.
Der Ständerat verweigert auch zu korrigieren, was der Grundlagenbericht über staatliche Subventionen des Instituts für Wald, Schnee und Landschaft WSL ergeben hat. Demnach üben 160 Subventionen eine schädigende Wirkung auf die Biodiversität aus, darunter etliche aus der Landwirtschaft.
Bio bietet Lösungen
Bio bietet heute schon gute Lösungen an und soll sich weiterentwickeln. Die EU strebt mit ihrem Green Deal 25 Prozent Bioproduktion und Biokonsum bis 2030 an. Sie flankiert die Entwicklung mit intensiven Forschungsprogrammen. Die Schweiz sollte sich mindestens gleich schnell entwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ohne AP22+ fehlen die dafür nötigen Rahmenbedingungen, und die mögliche Entwicklung bleibt den wechselhaften Launen der Märkte überlassen. Bio Suisse hofft nun auf die faktenbasierte Korrektur dieses Entscheids durch den Nationalrat.
Quelle: Medienmitteilung von Bio Suisse vom 15.12. 2020
Weiterführende Informationen
Medienmitteilung der Agrarallianz vom 15.12.2020 (140.0 KB)